Digitaler Hustensaft – Ein Kommentar zum Scheitern der E-Privacy-Verordnung

1. VorwortDigitaler Hustensaft

Ende des vergangenen Jahres trat das ein, was viele schon vermuteten. Die E-Privacy-Verordnung, eigentlich als kleine Schwester zur DS-GVO für das Internet geplant, entpuppte sich als Fehlgeburt. Das Gesetzeswerk war nie ein Wunschkind – ähnlich wie bei der DS-GVO trieb viele die Angst um. Für die datengetriebene Werbeindustrie, Verlage, so manchen Politiker oder EU-Mitgliedstaat schien das 29 Artikel starke Regelwerk ein Antidot zu sein, das Geschäftsmodelle, Innovationen, Start-Ups und den Online-Journalismus zu veröden drohte. Mancher Manager warnte, mit Sorgen um europäische Arbeitsplätze, dass die E-Privacy-Verordnung letztlich nur US-Datenunternehmen bevorteile – gegen die Konkurrenz aus Übersee sah sich die hiesige Online-Branche ohnehin schon in einem verbissenen Überlebenskampf. Nein, im Angesicht einer solchen Überdosis Gegengift sahen sich auch deutsche Online-Interessenverbände genötigt, ihre brennende Sorge über dessen baldiges Kommen und den (erneuten) Untergang des Internets und einer ganzen Branche zum Ausdruck zu bringen.

Gastbeitrag von lacrosse

Lacrosse ist betrieblicher Datenschutzbeauftragter in der Konzerndatenschutzorganisation einer deutschen Unternehmensgruppe. In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich, um gemeinnützigen Vereinen bei der Umsetzung der DSGVO zu helfen.

Feedback und Fragen können direkt an ihn gerichtet werden. Spenden für seine Arbeit möchte er direkt dem Kuketz-Blog zukommen lassen. Ihr könnt also direkt an den Kuketz-Blog spenden.

2. »Wir« sind das Netz…

… so lautet der Wahlspruch des Bundesverband Digitale Wirtschaft BVDW e.V. Das Wort »Wir« kann Menschen zusammenführen oder ausschließen – je nach seinem semantischen Zusammenhang. Das ausschließende »Wir« des BVDW e.V. findet man in dessen Mitgliederliste.

Gegen Ende 2019 war klar, dass es mit dem Datenschutz im Internet dann wohl nichts mehr wird. Dennoch schien die Furcht bei den »Wir« so tief zu sitzen, dass man noch am 19.11.2019 einen Verbändebrief an Bundeswirtschaftsminister Altmaier unterzeichnete.

3. Die Nebenwirkungen der Technikgläubigkeit

Die grassierende, fiebrige Technikeuphorie, gepaart mit einem verengten Blickwinkel allein auf Eigeninteressen, macht derzeit viele Entscheider blind für die Nebenwirkungen ihrer Entscheidungen und Handlungen.

Man fühlt sich an den fatal ungezügelten medizinischen Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts erinnert, der nur die Wirkung der Arzneien wahrhaben wollte – damals wie heute sind Selbstüberschätzung und mangelnde Reflektion des eigenen Tuns dort die Regel, wo Profite winken. Nun mag es uns seltsam vorkommen, dass Heroin in Hustensaft verabreicht, das Produkt durch einen großen Pharmakonzern aggressiv beworben wurde oder der Produktname sich aus dem griechischen Heros für Held ableitete. Dazu muss man wissen, dass die Wirkung durch Dosierung und Aufnahmeweg, nicht unserem heutigen Verständnis der Droge entspricht – es machte wohl nicht abhängig. Nebenwirkungen gab es dennoch und dass es für Kinder oder Schwangere gesund war, ist zu bezweifeln. Erst nach 1958 wurde der Verkauf in Deutschland durch das Betäubungsmittelgesetz verboten.

Und auch heutzutage blüht uns ein technischer Fortschritt, der vorgeblich Neuerungen gebiert und nur den allmächtigen Gradmesser des wirtschaftlichen Erfolges als Selbstrechtfertigung kennt. Propagierte Bedenkenlosigkeit und fehlerhafte Sicherheitsbeteuerungen sind Muster, die uns in neuer Gestalt der Datensammelei im Internet wieder heimsuchen. Es genügt lediglich ein wenig Vorstellungskraft und man erkennt die Wirkung der gleichen Mechanismen, die als globaler Wettbewerb, Innovation, digitale Souveränität und Digitalpolitik daher kommen. Ein toxischer wirtschaftlicher Selbsterhaltungstrieb der nur oberflächlich vorgibt, die Privatsphäre zu respektieren.

4. Ins Gegenteil verkehrt

[…] ohne Not unsere […] Unternehmungen massiv beschädigen […]

Verbändeschreiben vom 19.11.2019

Dass es dem Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. so gar nicht an Vorstellungskraft mangelt, erklärt, weshalb er eine Notlage ins Gegenteil verkehrt. Nicht die Privatsphäre im Internet ist in Gefahr, sondern die digitalen Unternehmen sind bei einer…

[…] unsachgemäßen europäischen Datenschutzregulierung […]

Verbändeschreiben vom 19.11.2019

… in Not. Dabei ist die Selektion von Internetnutzern in nummerierte Zerrbilder nach ihren Vorlieben, Interessen, Klicks, Likes und aufgerufenen URLs schon lange ungebremst im Gange. Und so wird heutzutage die vorgebliche Anonymität von Cookie Matching, Browserfingerprinting, Clickstream & Co. zum vergangenen Echo der vorgeblichen Ungiftigkeit eines Hustensaftes. Digitale Nebenwirkungen finden sich dann (vielleicht) in der Datenschutzerklärung.

5. Digitale Dolchstoßlegende

Gleich zweimal weist der Verbändebrief über den Atlantik. Im Internetzeitalter steht der marktdominierende Plattformfeind damit quasi vor Toren der tapferen digitalen deutschen Unternehmen, die sich in einem unerbittlichen Wettbewerbskampf befinden. Die E-Privacy-Verordnung wäre dann der vermeintliche giftgetränkte regulatorische Dolch, der hinterrücks die wackeren Kämpen erledigt.

[…] dass die bereits heute vielfach marktdominanten Plattformen außereuropäischer Anbieter durch einseitige Regulierung bevorzugt wird, […]

Verbändeschreiben vom 19.11.2019

Man könnte nun meinen, dass der räumliche Anwendungsbereich der E-Privacy-Richtlinie sich lediglich auf europäische Unternehmen begrenzt. Allerdings ist dieser ähnlich weit gefasst, wie in Art. 3 der DS-GVO. Siehe Artikel 3 (1) Vorschlag E-Privacy-Verordnung Schutzbereich:

[…]
a) die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsdienste für Endnutzer in der Union, unabhängig davon, ob vom Endnutzer eine Bezahlung verlangt wird;
b) die Nutzung solcher Dienste;
c) den Schutz von Informationen in Bezug auf die Endeinrichtungen der Endnutzer in der Union.
[…]

Natürlich ist die vorübergehende, selektive Leseschwäche des BVDW gegenüber des ungeliebten europäischen Schutzes der Privatsphäre im Internet verständlich. Stehen die marktdominanten Plattformen dem Verband doch viel näher – der amerikanische Überwachungskapitalismus mag so manchem Unternehmenslenker erstrebenswert erscheinen. Begehrlichkeiten im Zeitalter des digitalen Hustensaftes…

Ein Blick in die Mitgliederliste des BVDW genügt jedenfalls und man findet eben jene großen Internetplattformen wie Google und Facebook. Man möchte milde überrascht nachfragen, ob die befürchteten Wettbewerbsnachteile nicht am besten verbandsintern zu lösen wären. Denn trotz des vorgeblichen Wettbewerbskampfes scheut man sich nicht, Dienste und Werkzeuge eben jener Internetplattformen einzubinden – sei es Facebook Pixel oder Google Analytics, um nur einige zu nennen. Es fällt schwer an wirtschaftliche Rivalität zu glauben, wenn BVDW-Unternehmen die dominanten Internetgiganten bereitwillig mit Daten versorgen. Konkurrenz mag sich so mancher anders vorstellen. Dass diese Partnerschaften auch einmal einseitig ruppig sein können, musste das französische Online-Marketing-Unternehmen Criteo und BVDW-Mitglied erfahren. Facebook entzog dem Unternehmen 2018 den Status eines bevorzugten Partners – damit erhält Criteo keinen bevorzugten Zugang zu neuen Features des Sozialen Netzwerkes. Kein Anlass zur Sorge für Criteo, es bleibt noch Google als Partner.

6. Die Innovationen, die uns erwarten

[…] und datenbasierte Produktinnovationen im Handel und Dienstleistungssektor massiv beeinträchtigt […]

Verbändeschreiben vom 19.11.2019

Was das Etikett Innovation trägt, ist per se modern und damit immer gut. So weit, so falsch. Stattdessen sollten wir uns fragen, welche vorgeblichen Innovationen gemeint sind. Sind sie neu? Im November sind BVDW-Mitglieder wie beispielsweise Criteo damit aufgefallen, dass sie die Blockade ihrer Skripte und Cookies durch Browser und Adblocker mit DNS-Delegation umgingen. Vereinfacht gesagt handelt es sich um ein Alias für einen anderen Web-Server, das den Eindruck vermittelt, eine Subdomain der besuchten Webseite zu sein. In Wirklichkeit verweist diese auf den Tracking-Server eines Drittanbieters. Nun arbeiten viele Ad-Blocker mit Blockier-Listen, die bei dem Besuch einer Webseite eine Verbindung von bekannten Trackingunternehmen blockieren – und bei einer DNS-Delegation u.U. ins Leere laufen.

In den letzten Jahren hatten die Browser-Anbieter damit begonnen, Nutzerverfolgung und Profilbildung durch Dritte zu erschweren. Das Tracking im Netz hat offenkundig besorgniserregende Ausmaße angenommen. Wir erleben bei diesem ewigen Katz-und-Maus-Spiel immer wieder, dass technisch notwendige Verfahren von Tracking-Unternehmen fahrlässig zweckentfremdet werden. Sei es, dass Drittanbieter-Cookies als 1st-Party-Cookies umgeschrieben oder sinnvolle, technische Beschränkungen von Cookies (path, domain, valid usw.) bewusst missachtet werden. Allerdings sind diese Techniken nicht wirklich neu, so wurden bereits 2014 die Nebenwirkungen für die Privatsphäre von Nutzern von Cookies aufgedeckt, die über ein DNS-Alias einen 1st-Party-Kontext vorschützen. Es mag daher von Bauernschläue zeugen, technische Notwendigkeiten für wirtschaftlich motivierte Nutzerüberwachung zu verwenden. Neuerungen sind es hingegen nicht.

7. Dürfen die das denn?

[…] Browser-Hersteller neigen zunehmend dazu, ihre technologische Sonderrolle als De-facto-Regulator einzusetzen. Dies kann durchaus als Missbrauch von Marktmacht betrachtet werden, jedenfalls ist die entsprechende Legitimation fraglich, da kaum mehr als vier oder fünf Unternehmen den globalen Markt beherrschen. An dieser Stelle ist Sensibilität und Offenheit für die gesamte digitale Wirtschaft im Interesse aller Marktteilnehmer gefragt, hier ist möglicherweise die Politik gefordert. […]

„Kampf um die Daten“ BVDW e.V. Vizepräsident c’t 1 21.12.19 Seite 98

Treu dem Motto »Wir sind das Netz…« werden Umsatzhindernisse an die Politik weitergereicht, mit der die »Wir« stetig im Dialog stehen. (siehe Besuche des BVDW 2018). Es gehört schon eine gehörige Portion Chuzpe dazu, den Begriff »Legitimation« überhaupt in diesem Zusammenhang zu verwenden. Die Privatsphäre von Internetnutzern wird hierbei schlicht ignoriert, denn der Nutzer als Ressourcenquelle ist nur insoweit von Bedeutung, als dass eben keine Verknappung stattfinden darf.

Wir sind an die Allgegenwärtigkeit dieser automatisierten Nutzeridentifikations-Maschine gewöhnt worden. Vergessen wir diese Tatsache nicht: Webtracking dient allein dazu, Menschen identifizierbar zu machen, auch im rechtlichen Sinne des Begriffes. Weder kann diese Maschinerie individuelle Rechte berücksichtigen, noch Raum für menschliche Entscheidungen lassen. Automatismen reagieren mit Gleichgültigkeit auf Einzelfälle oder Individualität. Das sind allenfalls Anomalien, die unwillig oberflächlich in Datenschutzerklärungen und Nutzungsbedingungen Erwähnung finden.

Vordergründig berücksichtigt man die Nutzerinteressen nur insoweit, dass diese relevante und personalisierte Werbung erhalten. Dies dient aber kaum dem Nutzer, sondern ist der Forderung nach Werbewirksamkeitsnachweisen der Werbetreibenden geschuldet. Daher ist es nach dieser Marktlogik nicht verwunderlich, wenn auf dem Online-Werbemarkt der Nutzer nicht beachtet werden muss. In diesem Zusammenhang wäre es auch ein Irrtum davon zu sprechen, dass es sich um Daten von Menschen handelt – denn sie sind ein Anti-Akteur, der Begriff »Nutzer« ist in diesem Kontext abwertend zu interpretieren.

Vielmehr sind Daten über Menschen die grundlegend nutzbare und herrenlose Ressource dieses Ökosystems – sie müssen lediglich ausgebeutet und es kann darüber verfügt werden, um anschließend daraus proprietäre Produkte herzustellen. Damit wird Legitimität etwas, das eben zwischen den Marktakteuren dieses Ökosystems ausgehandelt werden muss. Und die Politik fungiert zwischen diesen Akteuren nur noch als Mittler. Die Ermächtigung, Verhaltensdaten zu sammeln, ergibt sich allein aus dem Anlass, dass ein Mensch das Internet nutzt und Tracking technisch möglich ist. Die Tracking-Betroffenen haben weder eine Stimme noch die Kontrolle. Die Browser-Hersteller haben in ihrem letzten Schritt nur dafür gesorgt, dass es schwieriger wird, Technik zweckfremd auszunutzen. Schließlich ist ein Internet ohne Nutzertracking möglich, wohingegen ein Nutzertracking ohne das Web unmöglich ist. Das muss man sich stets vergegenwärtigen.

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8. Auf die Probe zu stellen

[…] Die (Datenschutz*) Grundverordnung erfasst die Regelungsmaterie der geplanten E-Privacy-Verordnung in Bezug auf Internetangebote bereits vollständig. […]

Verbändeschreiben vom 19.11.2019
*Anmerkung des Autors

Glaubt man dem BVDW e.V. so scheint die DS-GVO ausreichend zu sein – auch für das Tracking und die Profilbildung im Web. Eine eindeutige und unmissverständliche Regelung wie in Art. 8 E-Privacy-Verordnung, die eine Einwilligung für Nutzertracking fordert, wäre nicht notwendig – glaubt der BVDW e.V.

Dies hieße aber auch, dass nach beinahe zwei Jahren Anwendbarkeit die DS-GVO ausreichend verstanden und umgesetzt sein müsste: von Online-Werbeunternehmen, Agenturen und deren Kunden. Diese Unternehmen vertritt der BVDW e.V. mit seinen Aussagen, an denen der Verband zu messen sein wird.

Pessimisten mögen nun angesichts des Patts bei der E-Privacy-Verordnung zwar dunkel ahnen, dass der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Wirtschaft und Politik die bequeme Worthülse einer »aufgeklärten Datensouveränität« durch den Nutzer lauten könnte. Dies lenkt allerdings vom Kern der immer gleichen Fragen ab: »Dürft ihr uns eigentlich überwachen?« und »Wollen wir das?«.

Bildquellen:

Cough Syrup: Nikita Golubev from www.flaticon.com is licensed by CC 3.0 BY

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Diskussion

7 Ergänzungen zu “Digitaler Hustensaft – Ein Kommentar zum Scheitern der E-Privacy-Verordnung”

  1. Comment Avatar OfflineIstLebenOnlineistShow sagt:

    Diese Arroganz mit welcher Industrie und Handel meinen, die Privatheit abschaffen zu können zum eigenen Vorteil ist eine Vertrauenskrise. Das Stasi-Netz, das diese Leute aufbauen wollen birgt markante Risiken – für diese Beteiligten sind es ein paar Dollar / Euro, für den Konsumenten ist hier die Freiheit auf dem Spiel.

    In einer Zeit der Dystopien, in welchen Unternehmen / Konzerne die Daten absahnen dürfen sollen, die sich der Staat oft aus Gründen der Folgenabwägung aus Erfahrung entsagt hatte. Diese anschließend jedoch aus Nutzenüberlegungen und Zwängen der heutigen virtuellen Sozialstrukturen heraus dann aufkauft und verwerten dürfen will, entsteht ein Rahmen für unsägliche Fehlentwicklung, die jede Freiheit tatsächlich beenden können wird. Ein totalitäres Konzept, vor dem sich niemand verstecken kann. Die Datenherrschaft als totale Herrschaft über das Individuum? – Ja und nein. Der Konzern will Geld, der Staat Macht und wenn beide zusammenrücken haben wir eine Wurzel totalitärer Systeme.

    Auf der anderen Seite mag man auch einwenden, das es der Mehrheit in weiten Teilen egal ist und Menschen, die Ihre Freiheit für einen Glasperlentausch hergeben eben nicht mehr verdienen würden als die resultierenden Formen der Unfreiheit. Man kennt es vom Drogenkonsum: Hauptsache Fun, hauptsache Lebens-Content – etwas um die eigene innere Leere zu befüllen – Die Triebkraft des BSP! – Das es allzuoft nur ein Selbstbetrug ist, der mit dem Verlust des sozialen Selbst zu tun hat? Das scheint vielen nicht mehr bewußt zu werden. Zombiefication im Konsumismus und die selbstherrliche Selbsthinrichtung des Konsumenten ist nichts neues.
    Insofern kann man den Verlust bzw. Ausverkauf des Sozialbezüglichen und die Gefahren für individuelle Freiheit durch die moderne Netzaffinität als ein Surrogat des Seins verstehen, das es leichter macht eine Identität vorzugaukeln. Diese greifen dann unsere Konzerne auf und wollen uns bei der Identitätsaneignung mit ihren Fetisch-Produkten „unterstützen“.

    Auch nichts grundlegend Neues. Eigentlich nur ein Neuaufguss alten Gaukeltums aus 1001 Religions+-Identitäts+-Wahrheiten. Früher zu Spalterei und Hofherrschaft ausgebaut – Heute in moderner Diversität als Produktivkraft gefeiert mit global organisiertem Geldadel, der dem Mammon huldigt – Der Vergleich: Mit großem Lauschangriff am Techno-Altar anstelle des Beichtstuhls.

    Dejavu Anyone?

    • Comment Avatar GerdundGerda sagt:

      100% JA. Was macht man mit der Erkenntnis mit 70? Hoffen, dass man vor dem Implantat noch auf natürliche Art ins Gras beißt? Unsäglich das alles. Wie kann es Verwerter von persönlichen Daten geben. Das ist doch unglaublich. Wie soll da die Würde des Menschen noch definiert werden?

      Kurzum ich bin hoffentlich rechtzeitig raus ;-)

  2. Comment Avatar Hermine sagt:

    Ein Elefant steht im Raum, auch bei diesem Thema: So lange es möglich ist z.B. Daten („Rohstoffe“) aus Profitgründen in den Prozess der Kapitalakkumulation und -verwertung einzubringen, wird das auch gemacht. Selbst wenn es verboten und geächtet werden würde, wäre das so (siehe bspw. Prohibition, Waffenhandel etc. pp.). In Abwandlung eines Horkheimer-Wortes: Wer über den totalitär herrschenden ökonomischen Status Quo, der diesen Entwicklungen zu Grunde liegt, nicht reden will, sollte vom Datenschutz schweigen. (Ist keine Kritik am Beitrag, eher eine Ergänzung/Anregung).

  3. Comment Avatar Q sagt:

    Die grassierende, fiebrige Technikeuphorie, gepaart mit einem verengten Blickwinkel allein auf Eigeninteressen, …

    Ja, treffend ausgedrückt…

    Leider führt diese „alles-Neue-ist-gut-Mentalität“ dazu, daß auf viele Software-Merkmale/Nebenwirkungen in der breiten User-Masse – auch teilweise dank geschicktem Marketing – kaum geguckt und diese einfach installiert/gekauft wird. Bis es dann irgendwo/wnann kracht (und das Geschrei groß ist) …

    Glücklicherweise guckst Du Dir auf Deinem Blog die verschiedenen Produkte/Artefakte (Betriebsysteme, Messenger etc.) genauer an, berichtest darüber und öffnest somit quasi die Augen für diese (teilweise verborgenen) Details (bspw. bzgl. Privatsphäre/Datenschutz).

  4. Comment Avatar Anonymous sagt:

    Ich kann all dem nur zustimmen, daher bitte ich das nicht als Troll-Kommentar misszuverstehen:

    Wo tut den Leuten der (missbräuchliche) Umgang mit ihren Daten weh? Ok, der eine oder andere findet sich vielleicht bei „Have I been pwnd“ wieder, aber wem und wie vielen ist dadurch nennenswert Schaden entstanden? Wem hat das Lauschen und Auswerten von Alexa und co schon ernsthaft geschadet? Wo merken Nutzer (aka Rohstoffe) konkrete Nachteile, die sie die Vorteile oder eher Annehmlichkeiten überdenken lassen? Ich kenne persönlich niemanden, der durch den von mir oft angeführten Datenmissbrauch schon einmal fühlbare Konsequenzen erfahren hätte. Und so lange die negativen Meldungen und Szenarien Schlagzeilen bleiben, die andere betreffen und abstrakte Konzepte im luftleeren Raum wird sich die breite Masse nicht aus der Ruhe bringen lassen.

    • Comment Avatar Anonymous sagt:

      Das kann sich schnell ändern. Die Niederlande hatten stets (im 19. Jahrhunder) ein Bürgerregister, in dem die Bevölkerung freiwillig ihre Herkunft, Religion und viele private Details preisgaben. Was dann in den 1930er Jahren plöttlich damit gemacht wurde kann man sich denken.

    • Comment Avatar Hermine sagt:

      „Wo tut den Leuten der (missbräuchliche) Umgang mit ihren Daten weh?[…]

      Beim Großen Datenabgreifen geht es letztlich weniger um das direkt daraus erwachsende, individuelle Missgeschick oder den kleinen Vorteil, als vielmehr darum, die Vektoren gesellschaftlicher Entwicklungen maximal undemokratisch zu verschieben. Und das möglichst universal, dabei aber immer lautlos, unsichtbar, geruchsneutral und in homöopathischer Dosierung. Das hat Auswirkungen auf alle. Selbstredend auch auf diejenigen, die es ernst und ernster nehmen mit dem Datenschutz.

      Im Zuge der Snowden-Enthüllungen hat Kieran Healy (Professor für Soziologie an der Duke University in Durham, North Carolina) Anfang Juni 2013 versucht, solche Prozesse möglichst plastisch in einer Metapher zu beschreiben.

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