Meinung: Es gibt kein Grundrecht auf Analyse – TTDSG Teil5

Warum das oft als harmlos eingestufte Analysetracking ein durchaus gefährliches Datenschutz- und Privatsphärenproblem sein kann. Mein abschließender Meinungskommentar zu der Artikelserie „Das TTDSG“.TTDSG

1. Webseitenanalyse ohne Einwilligung: leider nein!

Vier lange und umfangreiche Artikel in dieser Serie machen klar: Es bleibt kein Schlupfloch für eine einwilligungsfreie Webanalyse, egal, wie oft man das TTDSG und die europäische ePrivacy-Richtlinie auch dreht und wendet. In Deutschland und den meisten Ländern der EU hat man ohne Einwilligung keine realistische Chance, eine Webseitenanalyse rechtlich sauber durchzuführen, falls diese Lese- oder Schreibzugriffe für Cookies oder IDs auf dem Smartphone oder dem Computer benötigt. Das haben Teil 1 und Teil 2 gezeigt. In den letzten beiden Teilen habe ich die Versuche von einer losen Lobbygruppe aus Köln und von den Rundfunksendern vorgestellt, diese Gesetze gegen den Wortlaut auszulegen. Man muss schon sehr verwegen sein, um daran zu glauben, dass das vor einem Gericht so durchgeht.

2. Nachrichten lesen, ohne dass jemand über die Schulter schaut

Vor noch gar nicht langer Zeit war es undenkbar, dass die Industrie oder der Rundfunk ein generelles Analysezugriffsrecht aufs Endgerät für sich fordert oder gar mit Rechtsbruch durchsetzt. Beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk sind offenbar einige Sicherungen durchgebrannt, wenn man weiterhin einen Gerätezugriff durchführt, der allen anderen Verlagen und Unternehmen untersagt ist. Und diesen Rechtsbruch dann noch für ein Sonderrecht hält, welches die Verfassung vorschreibt. Viele Menschen wollen Produkte und Medien nutzen, ohne dass ihnen ständig jemand über die Schulter schaut. Hier beim Kuketz-Blog haben wir übrigens gar keine Artikelstatistik, aber 25.000 Follower auf Mastodon. Sollte man sich auch mal klarmachen, dass auch erfolgreiche Angebote ohne Webanalyse möglich sind.

3. Es gibt gute Alternativen

Für die meisten Unternehmen ist das dabei nicht wirklich eine schlimme Nachricht: Sie können ihre Analysen ohne große Einschränkungen und mit hinzunehmenden Ungenauigkeiten und nach Belieben komplett auf ihren eigenen Servern durchführen: mit gekürzten IP-Adressen oder passiv mitgesendeten User-Agents. Dafür braucht es ein wenig Umstellung und natürlich Mut zur Abkehr von lieb gewonnenen Tools wie Google Analytics. Das ist der Kompromiss, den die ePrivacy-Richtlinie und die DSGVO in Europa bietet und es ist ein guter Kompromiss. Wem das nicht passt, der hat Pech gehabt.

Fragen kostet nichts: Konsumverhalten kann man mit freiwilligen Personen herausfinden und dann mit statistischen Methoden auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen. Durch die einfache Verfügbarkeit anonymer Serverstatistiken und gute, teilweise sogar kostenlose Analysedienste hat man heute alle Möglichkeiten, auch mit einer Einwilligungsquote von 10 % oder 20 % gute Daten zu generieren. Bekannte Beispiele für Dienste, die auch nach TTDSG cookie- und einwilligungsfrei konfiguriert werden können, sind eTracker, Matomo oder Plausible. Es braucht also wirklich kein Grundrecht auf Analyse.

4. Warum Analysetracking gefährlich ist

Immer wieder wurde in dieser Artikelserie auch die Behauptung aufgeworfen, dass von einer Webseitenanalyse keine große Gefahr ausginge. Vermutlich ist es diese Einstellung, die immer wieder dazu führt, dass gegen das Gesetz verstoßen wird. Die Datenschutzbehörden selbst haben es ja ursprünglich selbst so formuliert – in einem Ausblick für eine mögliche Lockerung der Richtlinie, die nie gekommen ist. Die entsprechende Überlegung aus dem Working Paper 194 ist allerdings nun über zehn Jahre alt und seitdem hat sich einiges geändert.

  1. Das oft wiederholte Framing der Seitenbetreiber, dass sie ein „optimiertes Erlebnis“ anbieten wollen, ist meist nur ein geschönter Begriff für „Manipulation“. Gerade die Silicon-Valley-Giganten haben ihr Wachstum auch einer sehr konsequenten Entwicklung von manipulativen Designelementen zu verdanken. Nir Eyal ist reich geworden mit seinem Bestseller „Hooked: How to Build Habit-Forming Products“. Und das Modell wird nun weltweit nachgebaut: Austesten von Elementen in A/B-Tests, Überwachung des Geschäftserfolgs per massenhafter Analyse. Ein gigantisches psychologisches Experiment, das Abhängigkeiten in Mikroschritten testet und umsetzt. Mit weithin unbekannten Folgen für die Gesellschaft. Der Schutz der Privatsphäre ist daher auch der Schutz davor, dass das eigene Verhalten nicht manipulativ gegen einen verwendet wird.
  2. Trackingdaten fließen immer wieder an staatliche Akteure und Geheimdienste im Inland und Ausland ab. Shoshanna Zuboff hat die Probleme dieser Verquickung in ihrem Klassiker ausbuchstabiert: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Wenn nach der Lektüre eines sicher ist, dann, dass vor allem die Startup-Szene mit ihren enormen Wachstumsansprüchen selten freiwillig Rücksicht auf gesetzliche Regeln nimmt. Der Schaden für Datenschutz und Privatsphäre sind bekanntermaßen enorm und strahlen immer wieder bis in die Demokratie aus.
  3. Die Internetwirtschaft versucht seit Jahren immer trickreicher, eindeutige Identifier zu etablieren, um ihr gesamtes verhaltensbasiertes Werbemodell daran zu knüpfen. Das ist die neue Situation, unter der man die Problematik von Analyse-IDs betrachten muss: Wenn nur eine einzige ID im Endgerät gelesen werden kann, könnte die Industrie alle anderen Dienste heimlich mit serverseitigen Verbindungen daran knüpfen. Ich gehe davon aus, dass serverseitiges Tracking mit getarnten IDs bereits geschieht. Vertrauen in die Onlinewirtschaft ist leider keines mehr übrig. Wer in diesem Bereich journalistisch arbeitet, könnte jeden Tag eine Skandalgeschichte über die Wirtschaft, über Verlage und nun sogar über Rundfunksender schreiben.

5. Hätte, hätte, Verwendungszwecke

Eine Analyse wäre nur ungefährlich, wenn man sie selbst macht und alle Parameter und Verwendungszwecke kennt und unter Kontrolle hat. Schon mit einem Drittanbieter, den man einsetzt, wird es kritisch. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass man immer die anderen ausspionieren will. Für alle, die durchs Internet klicken und wischen und darauf vertrauen müssen, dass jemand anderes die Analyse nicht manipulativ gegen sie verwendet, gibt es diese Gewissheit nicht. Kein Wunder, dass die Mehrheit daher Analysedienste ablehnt.

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6. Fehlende Regulierung

Das Endgerät sollte daher weiterhin ohne Ausnahme vor Analyse-IDs geschützt bleiben. Dieses Versprechen für den Schutz der Privatsphäre durch die Europäische Union ist sehr wertvoll. Die Verstöße dagegen sind allerdings massenhaft. Das meine ich nicht als Floskel. Ich schätze, dass man von mindestens 20-50 Unternehmen am Tag illegal analysiert wird. Das Versprechen sollte also endlich von den Aufsichtsbehörden etwas konsequenter mit Leben gefüllt werden.

Bildquellen:

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Über den Autor | Eberl

Matthias Eberl

Matthias Eberl ist freiberuflicher Multimedia-Journalist und schreibt außerdem für verschiedene Publikationen über Datenschutz-Themen. Für Journalisten gibt er auch Kurse im Bereich Informantenschutz. Er ist als Datenschutzbeauftragter von der IHK zertifiziert.

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