Kommentar: Der Datenschutz als Sündenbock in der Corona-Pandemie

1. BuhmannDatenschutz Buhmann

In Zeiten der Corona-Pandemie vergeht kaum ein Tag, an dem der Datenschutz nicht als Buhmann herhalten muss. Diverse Aussagen von (führenden) Politikern und Medienbeiträge haben dazu beigetragen, so viel Unsicherheit, Zwietracht und Falschinformationen zu streuen, dass der Datenschutz gemeinhin nun als »Verhinderer« wahrgenommen wird. Verstärkt wird dieser Effekt durch Meinungsmacher (Influencer) in sozialen Netzwerken, die mit Unterstützung ihrer digitalen Papageien um Aufmerksamkeit buhlen, ohne sich ernsthaft mit der Thematik befasst zu haben. Kurzum: Es wird eine Stammtischparole nach der anderen zum Besten gegeben, ohne zu begreifen, welcher Schaden damit eigentlich angerichtet wird. Mittlerweile ist es schon salonfähig zu behaupten, der Datenschutz gefährde in der Pandemie Menschenleben. Spricht man die Menschen, die eine solche Aussage tätigen/verbreiten darauf an und erbittet die Nennung von konkreten Beispielen, welche (Corona-)Maßnahmen am Datenschutz scheitern, bekommt man meist nur ein Schulterzucken oder allgemeines Herumlavieren.

Ärger, Frustration und Ängste gehören zum Corona-Alltag. Das ist verständlich und nachvollziehbar, da die Krise jedem von uns einiges abverlangt. Dieses allgemeine Unglücklichsein schlägt schnell in Aggression und Hilflosigkeit um, in der einfache Erklärungen/Antworten für komplexe Probleme gesucht werden. Der Sündenbock ist geboren. Er eignet sich hervorragend, um dem Ärger mal Luft zu machen, aber auch um von eigenen Unzulänglichkeiten und Versäumnissen abzulenken. In der Corona-Pandemie hat der Datenschutz längst die unliebsame Rolle des Sündenbocks eingenommen – es ist an der Zeit, dem ein Ende zu setzen.

2. Nachdenken und Differenzieren

Woher kommt diese Ablehnung bzw. Misstrauen gegenüber dem Datenschutz überhaupt? Offenbar aus der völligen Unkenntnis bzw. der Abneigung heraus, sich tiefer mit einer Thematik befassen zu wollen. Man weiß nichts oder hat sich nicht genügend informiert und nimmt stattdessen das einfache Bild vom »bösen Datenschutz«, das natürlich jedes weitere Nachdenken oder Differenzieren unnötig macht. Solch eine Reaktion ist zwar nachvollziehbar, allerdings nicht die richtige Antwort. Ein ähnliches Verhalten können wir übrigens bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien beobachten – auch hier wird gemeint, gemutmaßt und zusammengedacht was gar nicht zusammen gehört. Viele sind offenbar bereit große intellektuelle Opfer zu bringen, Hauptsache das eigene Bild von der Welt bleibt stabil.

Die mangelnde Bereitschaft, sich mit einem Thema zu befassen, und stattdessen lieber die Mär vom bösen Datenschutz zu verbreiten ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Gerade Politiker und Verantwortliche neigen dazu, in das allgemeine Befinden mit einzustimmen, um von den eigenen Versäumnissen und Versagen abzulenken. Das ist plump, das ist durchschaubar, das ist demokratiezersetzend – aktuell offenbar ein heißer Trend.

3. Datenschutz-Falschmeldungen

Insbesondere in sozialen Netzwerken gibt es unzählige Beispiele von Datenschutz-Falschmeldungen, die dazu beitragen, dass Datenschutz als »Verhinderer« wahrgenommen wird. Problematisch wird es, wenn Politiker, Medien oder Influencer mit einstimmen und ihre Reichweite missbrauchen, um das Bild vom »bösen Datenschutz« zu transportieren. Nachfolgend einige Beispiele.

3.1 Medienbeiträge

Vielfach wird die Zwangsnutzung der Corona-Warn-App gefordert:

Richtig ist: Akzeptanz schafft man nicht durch Zwang und Vorschriften, sondern über Vertrauen und Dialog. Eine verpflichtende Nutzung der Corona-Warn-App wäre nicht nur ein empfindlicher Eingriff in die Grundrechte, sondern würde vermutlich auch das Gegenteil bewirken: Eine Nicht-Nutzung bzw. Protest und Verzicht. Es ist einfach illusorisch zu glauben, man könne solch eine App verpflichtend machen. Ein Konzept, das vorsieht, jeder besitzt ein Smartphone, hat es immer dabei und aufgeladen, ist zum Scheitern verurteilt. Gerade die besonders betroffenen Personen im Alter zwischen 70 und 90 Jahren besitzen überwiegend überhaupt kein Smartphone.

Weitere Datenschutz-Falschmeldungen:

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3.2 Zitate aus sozialen Medien

Interviews oder Beiträge in Medien sind nur ein Kanal, über den sich die Botschaft über den »bösen Datenschutz« verbreitet. Insbesondere in sozialen Medien ist es an der Tagesordnung den Datenschutz als Sündenbock zu benennen. Nachfolgend einige Beispiele.

Werden auch diese Krise überwinden. Frage ist, wie kaputt werden Land & Menschen sein? Wie stark sind die Rechten? Machen wir ernst mit Digitalisierung? Wie umgehen mit Datenschutzwahn? Und Bürokratie? Dieses „Nichts Halbes, nichts Ganzes“ geht nicht mehr. braucht echten Reset

@SawsanChebli ca. 92.000 Follower, März 2021, Twitter

Richtig ist: Welche (Corona-)Maßnahmen scheitern denn aktuell am »Datenschutzwahn« bzw. inwiefern verschlimmert der Datenschutz die Krise?

Liebe Datenschützer, ich kann dass „Es liegt nicht am #Datenschutz“ nicht mehr hören. Der Datenschutz steht überall im Weg. Wir sind nicht alle #Datenschutzbeauftragte oder sogar Datenschutzrechtler. Dass es im Datenschutzrecht für alles eine Lösung geben mag, ist schön für die, [weitere Twitter-Beiträge]

@Gerstenberg_IP, März 2021, Twitter

Richtig ist: Dieser Twitter-Thread ist ein gutes Beispiel dafür, wie Unkenntnis und diffuse Ängste dazu beitragen, dass der Datenschutz als »Verhinderer« wahrgenommen wird. Nahezu alle Aussagen (wenn nicht sogar alle) sind längst widerlegt. Ich glaube, wir sind uns einig: Das kollektive Einstimmen in die Empörung und das Solidarisieren mit falschen Aussagen bringen uns nicht weiter, sondern tragen dazu bei, dass sich Missverständnisse und Halb-Wahrheiten verbreiten.

Hinweis

Ich freue mich über weitere Einsendungen von Beispielen, an denen sich aufzeigen lässt, wie der Datenschutz als Sündenbock für die eigene Unkenntnis/Versäumnisse herhalten muss. Diese »Anti-Datenschutz-Mythen« lassen sich grundsätzlich relativ einfach entlarven.

4. Fazit

Ein Sündenbock ist schnell gefunden – gerade in einer Krisenzeit wie der Corona-Pandemie, in der der Wunsch nach einfachen Antworten und Lösungen die Bereitschaft zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit einem Thema/Problem überlagert. Vielleicht hat das Bild vom »bösen Datenschutz« für einige auch einen identitätsstiftenden Charakter, bei dem man sich über das komplizierte Datenschutzrecht empören kann, wenn man im Paragraphen-Dschungel mal wieder den Durchblick verliert. Was die Ursache auch sein mag, der Datenschutz hat das Image als Verhinderer zu Unrecht.

An alle, die in Stammtischmanier auf den Datenschutz schimpfen bzw. sein Image als »Verhinderer« als willkommene Gelegenheit begreifen, um von den eigenen Unzulänglichkeiten und Versäumnissen abzulenken, sei gesagt: Schämt euch. Man löst komplexe Probleme nicht mit Schuldzuweisungen, sondern mit Nachdenken und einer sachlichen Diskussionskultur.

tl;dr: Für die Aussage, der Datenschutz stünde der Pandemiebekämpfung im Wege, gibt es keinerlei Belege. Das Datenschutz-Bashing ist auf die völlige Unkenntnis bzw. die Abneigung zurückzuführen, sich tiefer mit einer Thematik befassen zu wollen. Man weiß nichts oder hat sich nicht genügend informiert und nimmt stattdessen das einfache Bild vom »bösen Datenschutz«, dass natürlich jedes weitere Nachdenken oder Differenzieren unnötig macht.

Bildquellen:

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Über den Autor | Kuketz

Mike Kuketz

In meiner freiberuflichen Tätigkeit als Pentester / Sicherheitsforscher (Kuketz IT-Security) schlüpfe ich in die Rolle eines »Hackers« und suche nach Schwachstellen in IT-Systemen, Webanwendungen und Apps (Android, iOS). Des Weiteren bin ich Lehrbeauftragter für IT-Sicherheit an der Dualen Hochschule Karlsruhe, sensibilisiere Menschen in Workshops und Schulungen für Sicherheit und Datenschutz und bin unter anderem auch als Autor für die Computerzeitschrift c’t tätig.

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Diskussion

7 Ergänzungen zu “Kommentar: Der Datenschutz als Sündenbock in der Corona-Pandemie”

  1. Comment Avatar Robert sagt:

    Diese Thematik ist ja leider nicht nur rein corona-spezifisch. Ebenfalls gerne zum Sündenbock macht man den Datenschutz immer wieder bei den Themen Terrorismus und Kinderpornografie. Wobei jedem normalen Menschen klar sein sollte, das Datenschutz weder irgendwelche Attentate fördert oder irgendwo Bomben zünden tut. Und von den Attentätern, die sich wegen Datenschutzgesetzen besonders sicher fühl(t)en, habe ich bislang noch nicht gehört.
    Durch Datenschutz werden auch nicht mehr oder weniger Kinder sexuell missbraucht! Der Großteil aller Missbrauchsfälle finden im familären Umfeld und in Wohnungen statt. Die Abschaffung von Wohnungen oder deren NichtZuSchließen fordert aber komischerweise (noch) niemand.
    Neuerdings wird Datenschutz sogar zum Sündenboch für Hate Speech / Hassrede gemacht. Die Politik hat da jetzt sogar Extra-Gesetze für geschaffen, und die Provider -unzulässigerweise- zu Hilfs-Polizisten gemacht, obwohl niemand genau definieren kann, was das überhaupt ist oder sein soll. Eigentlich total überflüssig, denn das Lügen (=auch FakeNews) ist in aller Regel straffrei und bei „richtigen“ Beleidigungen greifen vorhandenen Gesetze und regeln das bereits. Der eigentliche Grund des Ganzen ist wohl der Aufbau einer privaten Zensur- und Kontrollinstanz im Netz. Klar, so etwas wie Datenschutz stört dabei nur.

  2. Comment Avatar haderner sagt:

    Der BfDI hat eine Info-Seite zur Corona-Warn-App, bei der im Abschnitt „Diskussionen rund um die CWA“ auf Forderungen oder behaupteten Lösungen anderer Länder eingegangen wird.

    https://www.bfdi.bund.de/DE/Datenschutz/Datenschutz-Corona/Corona-Warn-App/Corona-Warn-App-node.html

  3. Comment Avatar Malte sagt:

    Was im Artikel und dessen Arbeitsthese eindeutig zu kurz kommt, ist die Einordnung des Deutschen Datenschutzes in einen globalen Kontext. Eine Pandemie macht ja auch keinen Halt an Landesgrenzen. Nur so ließe sich Kuketz’ Plädoyer: die Bereitschaft zu einer differenzierten Auseinandersetzung aber einlösen. In der Öffentlichkeit wird oft ein Vergleich mit asiatischen Nationen gezogen, die aber einen ganz anderen Umgang mit Datenschutz haben. Mich würde eine Analyse der ‚digitalen Schwerter’ interessieren, wie sie z.B. in Taiwan eingesetzt werden. Ich vermute, dass viel ihrer Schärfe nicht mit dem Deutschen Datenschutz vereinbar wären. Die sich daran anschließende Diskussion wäre sicherlich eine sehr politische, aber durchaus interessante.

    Ein Konzept, das vorsieht, jeder besitzt ein Smartphone, hat es immer dabei und aufgeladen, ist zum Scheitern verurteilt. Gerade die besonders betroffenen Personen im Alter zwischen 70-90 Jahre besitzen überwiegend überhaupt kein Smartphone.

    Hinzu kommt die verschleppte offizielle Bestätigung eines Corona Kontakts/ einer Corona Infektion seitens des Gesundheitsamts, deren Tan wird aber benötigt um Andere durch die Corona-Warn-App warnen zu lassen… ein sehr stumpfes Schwert.

    • Comment Avatar Mike Kuketz sagt:

      Durch die Talkshows geistert immer wieder das Gerücht, dass man in asiatischen Ländern die Lage viel besser im Griff habe, weil der Datenschutz dort keine Rolle spiele. Das ist ein Mythos, der hier ganz gut entlarvt wird: Hemmt der Datenschutz die Pandemiebekämpfung?

      • Comment Avatar Malte sagt:

        Danke für die Link zum Artikel und die Entmystifizierung Herr Kuketz! Tatsächlich hatte ich mit Taiwan fälschlicherweise das Bild von einer die mobilen Datenströme überwachenden Nation. Die extra ausgehändigte SIM-Karte zu einer strengen zweiwöchigen Quarantäne nach Einreise dürfte auch mit dem Deutschen Datenschutz konform gehen.
        Die Corona-Warn-App halte ich trotzdem für ein stumpfes Schwert, was natürlich nichts mit mangelhaften Datenschutz zu tun hat.

        • Comment Avatar Robert sagt:

          Was die um ein vielfaches erfolgreichere Corona-Bekämpfung in Ländern wie Taiwan, China oder Südkorea oder Japan betrifft, sollte man das ganz bestimmt nicht mit Datenschutz in Verbindung bringen. In China beispielsweise herrscht ein sehr großer sozialer Druck – trägst Du keine Maske, ist die Wahrscheinlichkeit enorm hoch, dass Dich irgendein Nachbar denunziert. Und die damit verbundenen Strafen sind drakonisch und wirken abschreckend genug. Während es in China der gesellschaftliche Druck ist, sorgt in vielen anderen asiatischen Ländern ein großer sozialer Zusammenhalt (=ich bin Teil des Ganzen) für den gleichen Effekt, nur auf andere Art und Weise. Und natürlich haben Inseln, wie Taiwan oder Neuseeland zusätzlich noch einen natürlichen Abschottungsvorteil.
          In Deutschland bzw. Europa existiert weder ein sozialer Druck, noch irgendein besonders großartiges gesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl, leider. Daran verändert, verschlimmert oder verbessert, Datenschutz nichts.

  4. Comment Avatar Geheimratsecken sagt:

    Die Niederlande soll einmal bis 1940 das beste Erfassungssystem in Sachen Volkszählung gehabt haben. Also beispielsweise Religion, Geschlecht u.s.w.

    Die Niederlande wird sich dabei nichts Böses gedacht haben.

    Nun kamen aber die Nazis und konnten sich ganz bestimmte Personen Dank dieser umgängliche Datenbanken heraussuchen.

    Dreimal dürft ihr raten welche Personen.

    Ich finde Datenschutz GERADE gegenüber Regierungen und Konzerne besonders wichtig.

    Warum auch Konzerne? Weil es im Grunde mit Regierungen gleich zu setzen ist. Beispielweise werden Konzerne genau wie Regierungen mit Steuern finanziert.

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