Topographie der Daten: Eine Blackbox für den Nutzer

1. Graphen-ModelleTopographie Daten

Vermutlich wird die Diskussion über eine zentrale oder dezentrale Variante einer Corona Tracing App bei vielen Menschen auf Unverständnis stoßen. Schließlich scheint es sich lediglich um kleinliche technische Finessen zu handeln – eine Diskussion für Nerds und nicht für den »Normalbürger«.

Karl Lauterbach: […] wir wollen nicht in die technischen Details gehen […]
Markus Lanz: […] Bitte nicht! […]

Quelle: Markus Lanz am 23.04.2020 / Diskussion um die Corona Tracing App

Wir sollten uns allerdings klar machen, dass sich derartige Diskussionen nicht ausschließlich um den Programmcode einer App drehen. Warum dies so ist, verlangt Kenntnis von dem, was Shoshana Zuboff in ihrem Buch »Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus« als den »Schattentext« bezeichnet – man könnte auch sagen, der Code hinter dem Code. Die Datenverarbeitung jenseits eines Frontends.

Zum diesem Grundverständnis gehört auch, dass uns eine Corona Tracing App – eine Software zur Kontaktnachverfolgung – über Wochen und Monate begleiten wird und das im wörtlichen Sinne. Es sei vorausgeschickt, dass es hier nicht darum geht, eine Tracing App rundweg abzulehnen – sie ist lediglich der Auslöser und nicht der Grund für diesen Beitrag. Vielmehr wollen wir den Hintergrund der Diskussion beleuchten.

Dazu ist es zunächst unumgänglich, unseren Blick auf die Technik die uns, so passgenau umschließt, zu verändern und hinter deren offenkundige Zweckbestimmung zu blicken. Smartphones stecken voller Sensoren (Näherungssensor, Gyroskop, GPS-Sensor, Kompass, Beschleunigungssensor usw.). Alle diese Sensoren dienen einem bestimmten, nützlichen Zweck. Dennoch verwandeln sie unweigerlich das Gerät selbst in einen Sensor. Dieses Prinzip lässt sich auf allerlei vernetzte Geräte, Apps und selbst Codezeilen anwenden – wechselt man auf diese Deutungsebene, dann kann auch beispielsweise Facebooks Like-Button ein Sensor sein. Die offenkundige Funktion ist, mit einem »Like« eine Wertung auszudrücken. Während Facebook mittels des Schattentextes analysiert, was oder wer von wem »geliked« wurde.

Betrachtet man nun Smartphone & Co. als Sensoren, die Daten messen, erzeugt die konstante Vernetzung des World Wide Web einen stetigen Datenfluss aus unzähligen Datenpunkten. Diese Datenpunkte werden wiederum durch billige Speicherkapazitäten in einer Art Datenwolke dauerhaft verfügbar gemacht. Verfügbar, aber zunächst kaum nutzbar. Denn das Datenvolumen ist zwar riesig und quasi unerschöpflich, aber zu unstrukturiert und teilweise fehlerhaft. Daher muss diesen unstrukturierten Rohdaten eine Struktur gegeben werden, um sie überhaupt sinnvoll verwerten zu können. Den Kern für die Kartierung der Datenwolke aus Rohdaten bildet die Graphentheorie – sie zeichnet eine »Landkarte« für die Algorithmen, die den Code hinter dem Code verkörpern.

Diese Landkarten können wie Facebooks Social Graph soziale Verbindungen zwischen Menschen und Gruppen, Criteo‘s Shopper Graph Kaufgewohnheiten im Internet oder Microsofts Delve (Office Graph) die Zusammenarbeit von Teams und Mitarbeitern in Unternehmen kartieren. Mit dieser Landkarte ist es dem Schattentext möglich, Datenobjekte zu segmentieren, analysieren und strukturieren und neue Datenpunkte abzuleiten.

Das Prinzip ist nicht neu. Mathematische Graphen werden schon länger in der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse eingesetzt. Die konstante Flut an Verhaltensdaten aus vernetzten Sensoren hat in den letzten Jahren aber dafür gesorgt, dass die Sozialwissenschaften und ihre Graphen-Modelle Bestandteil der digitalen Welt wurden.

Gastbeitrag von lacrosse

Lacrosse ist betrieblicher Datenschutzbeauftragter in der Konzerndatenschutzorganisation einer deutschen Unternehmensgruppe. In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich, um gemeinnützigen Vereinen bei der Umsetzung der DSGVO zu helfen.

Feedback und Fragen können direkt an ihn gerichtet werden. Spenden für seine Arbeit möchte er direkt dem Kuketz-Blog zukommen lassen. Ihr könnt also direkt an den Kuketz-Blog spenden.

2. Graphentheorie

[…] It’s the reason Facebook works.[…]

Quelle: Mark Zuckerberg 2007 auf der F8

Die Grundstruktur eines Graphen haben viele Menschen meist täglich vor Augen, wenn sie den öffentlichen Personennahverkehr benutzen – schauen Sie sich den grafischen Streckenplan ihres S- oder U-Bahn-Netzes an! Man kann augenblicklich erkennen, dass gewisse Linien bestimmte Haltestellen miteinander verbinden. Haltestellen können direkt durch eine oder mehrere andere Haltestellen erreichbar sein. Oder nur indirekt, indem man über andere Haltestellen fährt. Benachbarte Punkte sind in einem Streckenplan sofort erkennbar – zudem haben alle Haltestellen eindeutige Bezeichnungen.

Das ÖPNV-Netz (U-Bahn, Bus, Straßenbahn usw.) bildet den gesamten Graphen. Ein Busnetz in derselben Stadt würde nun einen Teilgraphen in diesem ÖPNV-Netz bilden, dessen Einstiegspunkte nur über Knotenpunkte mit dem U-Bahn-Teilgraphen vernetzt sind. Auch ob Teilgraphen zusammenhängen, also überhaupt verbunden oder isoliert sind, lässt sich erkennen. Neben der offenkundigen örtlichen Verbindung können intuitiv weitere Erkenntnisse erschlossen werden. Beispielsweise die zentrale Lage bestimmter Standorte oder ob Haltstellen »weitab vom Schuss sind«.

Auch die Anzahl der Knoten, die man passieren muss, um sein Fahrtziel zu erreichen, hat einen Informationsgehalt. Gewichtet man die Linien zwischen zwei Haltestellen mit einer Fahrtzeit – fügt also den Linien eine Information hinzu – , kann man den zeitlichen Aufwand abhängig vom eigenen Standort berechnen.

Betrachtet man einen Streckenplan abstrakter, verbindet dieser Punkte oder Knoten miteinander, die Linien dazwischen setzen einen Kontext zwischen zwei Punkten, liefern aber auch Informationen über entferntere Knoten. Gleichwohl lassen sich auch Informationen indirekt ableiten oder mit anderen Daten verknüpfen (indem man z.B. die Linien mit der Fahrtzeit gewichtet).

In einer Netzwerkanalyse lassen sich daher Aussagen über einzelne Knoten, Gruppen und Untergruppen von Knoten und das Gesamtnetzwerk bzw. ihre Teilnetzwerke treffen.

3. Knoten und Kanten – die Elemente eines Graphen

Graphen bestehen aus Knoten oder Nodes (oft auch Vertex genannt) (engl.), die durch Linien, sogenannte Kanten oder Edges (engl.), verbunden werden. Einen Knoten kann man sich als eine Art Datenobjekt vorstellen das einen Menschen, eine Webseite, ein Foto, ein Video, ein Dokument, einen Kinofilm, einen Musiktitel, einen Sportverein, eine Gruppe, einen Ort oder Standort – die Liste ließe sich beliebig erweitern – in einem Graphen repräsentiert. Facebook beispielsweise definiert einen Knoten als alles, für das ein Mensch sein Interesse bekunden kann.

Kanten sind Linien, die Knoten verbinden und somit in eine Beziehung zueinander setzen – mit einer Kante direkt verbundene Knoten nennt man Nachbarn. Da Kanten Knoten in einen Kontext setzen, haben sie einen gewissen Informationsgehalt. So würden in einem sozialen Netzwerk zwei Datenobjekte, die eine Freundschaft eingegangen sind, mit einer Kante »Freunde« verbunden werden. Sind zwei Haltestellen Nachbarn, d.h. durch eine Kante direkt verbunden, können sie dennoch in der Realität geografisch näher oder weiter auseinanderliegen. Fügt man nun den Kanten die Anzahl der Kilometer als Information hinzu, gewichtet man den Graphen.

Die erste Interpretation eines Graphen ist bereits mit diesen grundlegenden Elementen möglich. Zählt man von/bei einem Knoten die Anzahl der Kanten, die dort enden, erhält man den sogenannten Grad eines Knotens. Wir erinnern uns, Haltestellen können zentral sein (es enden dort viele Kanten) oder »weitab vom Schuss« (es enden dort wenige Kanten). Je mehr Kanten an einer Haltestellen enden, desto größer ihre Bedeutung innerhalb des Verkehrsnetzes. Dies wird in der Graphentheorie Zentralität bzw. Gradzentralität genannt.

Gewichtet man die Kanten z.B. mit der Anzahl der Kilometer, kann man eine kürzeste Strecke finden. Zählt man die Abfolge von Kanten und Knoten zwischen Start- und Zielknoten kennt man den Weg/Pfad , der zwischen Start und Ziel liegt. Damit kann man auch interpretieren, ob Knoten Nachbarn und direkt oder indirekt erreichbar sind oder wie lang die Entfernung zwischen Start- und Zielknoten ist.

Kanten, die zwei Teilgraphen verbinden, sind eine Brücke zwischen diesen Graphen. Würde diese Brücke nicht existieren, wären beide Graphen voneinander isoliert.

Kanten können einen unterschiedlichen Aussagegehalt haben, je nachdem ob es sich um einen gerichteten oder einen ungerichteten Graphen handelt.

4. People You May Know (PYMK)

Bevor wir zu gerichteten und ungerichteten Graphen kommen, kann man schon mit obigen Wissen Facebooks People-You-May-Know- Algorithmus ein wenig entzaubern. Man stelle sich drei Knoten vor, es existieren aber nur zwei Kanten zwischen diesen Knoten. Diese Zweierbeziehung (Zwei Kanten verbinden drei Knoten) nennt man eine Triade. Ein Vorschlagsalgorithmus wird zunächst nach einer Triade »suchen«, um dann daraus eine Dreierbeziehung zu bilden. D.h. es wird versucht, die »fehlende« dritte Kante zu etablieren, getreu dem Motto: »Kennen Sie den?«. Facebook verknüpft Nutzerprofile beispielsweise auch mit Geräteinformationen, Tags auf Fotos und Standortinformationen. Dem Sozialen Netzwerk stehen daher ausreichend Datenobjekte zur Verfügung, um aus Triaden Dreiecke zu bilden. Die Eigenschaft, dass Triaden eigentlich Dreiecksbeziehungen sind, wird als Transitivität bezeichnet.

5. Graphen-Arten

Man unterscheidet zwischen zwei Arten von Graphen: Ungerichteten und Gerichteten. Der offenkundigste Unterschied ist, dass die Kanten in gerichteten Graphen an ihren Knoten in Pfeilen enden. Bei ungerichteten Graphen sind die Kanten symmetrisch, d.h. die Beziehung zwischen zwei Knoten ist immer beidseitig. U-Bahn Streckenpläne sind meist ungerichtete Graphen, da U-Bahn-Züge in beide Richtungen verkehren. Bei ungerichteten Graphen kann die Bedeutung (oder Bedeutungslosigkeit) eines Knotens mittels der Gradzentralität gemessen werden – der Knoten ist bedeutend, bei dem viele Kanten enden und der viele Nachbarn (verbundene Knoten) hat.

Die Pfeil-Kanten in gerichteten Graphen können eine Wahl, Wertung usw. ausdrücken. Sie verlaufen in die eine oder andere Richtung oder sind beidseitig. Auch die Gewichtung bzw. das Kantengewicht kann in gerichteten Graphen unterschiedlich sein – bei ungerichteten Graphen ist das Kantengewicht gleich (z.B. Kilometer zwischen zwei Haltestellen).

Eine symmetrische Verbindung wie in ungerichteten Graphen gilt aber nicht mehr, sofern ein Graph kartiert, wer wen kennt. Denn: Freunde kennen sich gegenseitig, die Pfeile verlaufen somit in beide Richtungen. Im Gegensatz dazu können viele Menschen einen Influencer »kennen«. Der Influencer wird sicherlich aber nur wenige seiner Follower kennen. Daher werden viele Kanten mit Pfeilen beim Knoten des Influencers enden (eingehen; Eingangsgrad) und nur wenige Kanten von seinem Knoten ausgehen (Ausgangsgrad).

Bisher haben wir den Graphen nur bedingt in seinem Kontext betrachtet. Es ist für den nächsten Punkt wichtig zu verstehen, dass dieser Kontext zu unterschiedlichen Interpretationen führen kann.

So ist die Art der Beziehung in einem Freundschaftsnetzwerk anders als bei einem Graphen, der COVID-19 Infektionsketten, oder bei einem Graphen, der die Verbindung zwischen Webseiten abbildet.

Auch Wertungen innerhalb einer Plattform, wie beispielsweise das Kommentieren eines Posts, das Liken eines Videos, das Folgen eines Influencers oder Interaktionen, wie das Teilen eines Dokuments, lassen sich abbilden. Daher ist die Analyse eines Graphen abhängig von dem Kontext, den er kartiert – sofern man das Freundschaftsnetzwerk und das fachliche Diskussionsnetzwerk derselben Gruppe Wissenschaftler betrachtet, werden beide Graphen unterschiedlich ausfallen.

6. Messgrößen und Interpretation

In ungerichteten Graphen ist die Gradzentralität eine Messgröße für die Wichtigkeit eines Knotens (Akteurs) innerhalb des Netzwerkes. Bei gerichteten Graphen ist die Feststellung der Grade eines Knotens unterschiedlich, schließlich können Kanten von ihm aus – und eingehen. Gerichtete Graphen haben die Kennzahlen Prestige/Ansehen (viele Pfeile gehen ein) und Zentralität (viele ausgehende Pfeile). Bei dem Aussagegehalt dieser Messgrößen ist der konkrete Kontext des Netzwerkes entscheidend: Sind in einem Freundschaftsnetzwerk (der Graph beruht auf Beziehungen) viele Freundesanfragen auf einen Akteur gerichtet (eingehende Pfeile), ist er beliebt. Der Messwert Prestige drückt somit seine Beliebtheit aus. Sofern in einem innerbetrieblichen Netzwerk viele Freigabeanfragen bei einem Knoten eingehen, hat er in diesem Unternehmen etwas zu sagen. Das Prestige des Akteurs drückt in diesem Fall Autorität aus.

7. Direkte Verbindungen und Maßzahlen wie Prestige

Bei Graphen handelt es sich um mathematische Modelle. Graphen können einerseits Netzwerke visualisieren und Kennzahlen liefern. Sehen wir uns ein fiktives Netzwerk an, bestehend aus 15 Knoten, das durch die Nutzung eines Collaboration Tools entstanden sein könnte. Zunächst haben die Akteure des Netzwerkes an einer Umfrage teilgenommen, die Ausdruck einer Wahl ist. Daher handelt es sich um einen gerichteten Graphen.

Anhand folgender Formel:

Anzahl der eingehenden Kanten (Pfeile) bei einem Knoten
-------------------------------------------------------
     Anzahl der Knoten in einem Netzwerk minus 1

kann das Prestige jedes Knotens berechnet werden. Eingehende Kanten in gerichteten Graphen bedeuten ein bestimmtes Maß von Ansehen, Wichtigkeit, Beliebtheit – verdeutlicht durch die Kennzahl Prestige.

Gerichteter Graph

Laut der Umfrage gehen vom Knoten Dennis zwei Kanten aus (Ausgangsgrad) und keine Kante ein. Das Prestige von Dennis wäre demnach Null (0:14=0), da keine Kanten eingehen. Wohingegen im selben Netzwerk bei Katie 7 Kanten eingehen (Eingangsgrad), also 7:14 = 0,5000. Damit hat Katie den höheren Prestigewert.

Tabelle: Prestige

Im Vergleich lässt sich nun eine Rangfolge des Netzwerkes abbilden. Man kann nun unterstellen, dass Dennis im Gegensatz zu Katie unbeliebter ist.

Die Ausgangsgrade, also die Pfeile die von einem Knoten ausgehen, zeigen die Zentralität/auch Aktivität eines Knotens an. Dennis hat einen Ausgangsgrad von zwei. Interpretieren wir seine Aktivität in Verbindung mit seinem Prestige, wird deutlich, dass Dennis‘ Wahl nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Von Gegenseitigkeit spricht man, wenn Pfeile in die eine und andere Richtung von zwei Knoten verlaufen – sich die Akteure also gegenseitig wählen. Dies nennt man Reziprozität.

Bisher wurden nur die direkten Verbindungen eines Knotens untersucht. Es wären noch weitere Aussagen anhand der direkten Verbindungen möglich, die noch kurz einer Erwähnung wert sind. Gewichtet (Kantengewicht) man die Frage (z.B. 1 bis 4 Sterne), könnte man die Stärke dieser Wahl mit einbringen.

Es ist auch möglich, die Eigenschaft des Rangprestiges mit einzubringen. Hier wertet sozusagen der Status eines Akteurs seine Wahl auf oder ab. Sofern viele Pfeile wichtiger Akteure in einem Netzwerk auf einen Knoten zeigen, ist dieser umso angesehener.

8. Indirekte Verbindungen und die Maßzahlen wie Nähe-Zentralität

Verstehen wir die Collaboration Software als Sensor, wird folgendes klar: Da die Akteure die Software bedienen, erzeugen ihre Interaktionen Verhaltensdaten, die Aufschluss auch auf indirekte Verbindungen geben. Diese Daten entstehen beispielsweise dadurch, dass Akteure Informationen austauschen – also Dokumente hochladen und teilen, Dateien gemeinsam bearbeiten und vieles mehr. In unserem Beispiel entsteht daraus folgender ungerichteter Graph.

Ungerichteter Graph

Zwei weitere Zentralitätsmaße sind die Nähe-Zentralität und die Dazwischen-Zentralität. Beide Kennzahlen beruhen auf dem Prinzip der kürzesten Wege und betrachten nun die indirekten Verbindungen eines Knotens – hieraus erschließt sich die Eingebundenheit eines Akteurs innerhalb eines Netzwerkes. Bei der Nähe-Zentralität ist derjenige Akteur zentral, der schnell zu erreichen ist. Dies kann bedeuten, dass Informationen besonders schnell verbreitet werden und dieser Akteur für die Interaktion innerhalb des Netzwerkes wichtig ist – im Umkehrschluss ist dieser Knoten seltener auf andere angewiesen, da er viele andere Knoten schnell erreichen kann.

Die Nähe-Zentralität misst die kürzesten Pfade eines Knotens zu allen übrigen Knoten eines Netzwerkes. Je kürzer die Wege und je mehr dieser »Abkürzungen« existieren, desto höher die Nähe-Zentralität. Niedrige Werte ergeben sich für Randknoten. Interpretiert man diesen Wert anhand des obigen Beispiels, kann man unterstellen, dass Katie ein eher unabhängiger Akteur ist. Sie ist seltener auf andere angewiesen, da sie über kurze Wege zu allen Knoten innerhalb des Netzwerks verfügt. Sie kann direkte und indirekte Knoten schnell erreichen und Informationen verbreiten sich über ihren Knoten. Sowohl eine Tabelle, als auch die Visualisierung des Graphen machen deutlich, welche Akteure besonders wichtig und welche bedeutungslos sind.

Tabelle: Zentralität

Bei der Dazwischen-Zentralität nimmt ein Knoten die Rolle eines Maklers zwischen zwei Knoten ein. D.h. ein Akteur gilt als zentral, wenn er die größte Kontrolle hat. Da er zwischen zwei Knoten (die keinen direkten Kontakt haben) positioniert ist, kontrolliert er beispielsweise den Informationsfluss – er kann diesen behindern oder fördern. Sieht man sich die Visualisierung des Netzwerks an, kommt man zu dem Schluss, dass Katie und auch Henry wichtige Positionen innehaben. Henry’s Knoten verbindest zwei Gruppen als Brücke, die ansonsten keinen Kontakt hätten. Ohne Katie’s Knoten würde das Netzwerk komplett zerfallen.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass man auch die Struktur eines Graphen analysieren kann. D.h. welche Gruppen (Bsp.: Patrick, Linda, Otto, Kevin) es in ihm gibt und wie diese verbunden sind.

9. Antworten auf nicht gestellte Fragen

Wir haben nun den Vorteil der vollumfänglichen Kenntnis über ein erdachtes Szenario, dies gilt aber nicht für die Akteure unseres erdachten Netzwerkes. Für sie ist die Netzwerkanalyse eine Blackbox. Damit haben sie den Kenntnisstand eines passiven »Nichteingeweihten« – ein Befragter könnte möglicherweise anhand der Frage erahnen, worauf abgezielt wird. Er kann eine Antwort verweigern. Denn er ist ein (mehr oder weniger) aktiver Bestandteil der Kenntnisfindung. Wir haben in diesem Szenario die Perspektive des Eingeweihten, des Entscheiders eingenommen. Das kann eine Organisation sein, deren Erkenntnisgewinn mittels der oben geschilderten Ableitung von Daten groß ist.

Es handelt sich allerdings nur bedingt um Daten von den Akteuren selbst. Vielmehr sind es Daten über die Akteure, denn der Prozess der Erkenntniserlangung erfolgte mittels eines Schattentextes und das Resultat sind abgeleitete Informationen. Die Akteure, die der Datenverarbeitung unterworfen sind, werden von den Ergebnissen kaum profitieren – ohne Transparenz und Intervenierbarkeit ist dies nicht möglich. Nur derjenige, der entscheidet, profitiert. Allerdings kann sich auch diese simple Feststellung als kompliziert erweisen. Denn wer entscheidet über den Einsatzzweck des auswertenden Algorithmus? Die Organisation, die diesen nutzt? Der Hersteller des Collaboration Tools? Nur eines kann klar festgestellt werden: Die von der Datenverarbeitung Betroffenen sind es in der Regel nicht – und ohne eine Zweckbindung kann der Betroffene jedweder Verarbeitung unterworfen werden.

An dieser Stelle empfiehlt sich auch der erhellende Vortrag von Rainer Rehak »Was schützt eigentlich der Datenschutz?«.

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10. Gipfel der überzogenen Erwartungen

Wir neigen dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige Wirkung zu unterschätzen.

Quelle: Wikipedia / Roy Amara

Jede Software, auch eine Corona App, kann als Sensor fungieren. Menschliches Verhalten könnte mittels dieser Daten als Graph kartiert werden. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Auseinandersetzung über eine zentrale oder dezentrale Umsetzung. Letztlich ist es eine Entscheidung, ob die Daten von Millionen von Bundesbürgern in einer »zentralen Datenwolke« verfügbar sind oder zunächst dezentral auf einem Gerät verbleiben, und nur sofern es erforderlich ist, an einen Server übertragen werden. Beides ermöglicht die Erstellung eines Graphen – der Unterschied im Umfang (Datenminimierung) dürfte offensichtlich sein.

Hat man die Diskussion der letzten Wochen verfolgt, kann man sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass die Corona App mit allerlei Erwartungen emotional aufgeladen wurde. Die Rückkehr zum Alltag oder zumindest wieder mehr Freiheiten, sofern die App »freiwillig« genutzt wird, um nur einige zu nennen. Überzogene Erwartungen an die Fähigkeiten einer Technologie zu schüren oder Lockerungen in der Corona-Krise damit emotional zu verknüpfen, überhöhen die Nützlichkeit auf ein unrealistisches Maß. Umso mehr machen sie blind für die langfristigen Auswirkungen. Daher ist es ein wichtiger und verlässlicher erster Schritt, dass der Programmcode veröffentlicht wurde. Denn wie wir dargestellt haben, sind Transparenz und Überprüfbarkeit essentiell

Informationsverarbeitung dient der Produktion von Entscheidungen

Quelle: W. Steinmüller 1981

Eine Corona App wird Entscheidungen produzieren, die Auswirkungen auf das tägliche Leben von Menschen haben wird. Man muss diesen Entscheidungen vertrauen und notfalls intervenieren können – kein Entscheider darf sich hinter einer App verstecken. Ein »Ich weiß nicht warum. Das bestimmt der Algorithmus« , darf es nicht geben. Im letzten Jahrzehnt haben wir eine vergebliche Demokratisierung von Technik erlebt, die hauptsächlich auf der bequemen Bedienung dieser Technik fußt. Das Wissen wie diese Technik funktioniert und weiterführend (aus)genutzt wird, hatte kaum Relevanz. In naher Zukunft werden die Auswirkungen einer Technologie auf unser Leben erfahrbar sein – sollten wir die Spielregeln des Spiels um unsertwillen nicht besser kennen oder vielmehr überhaupt wissen, was gespielt wird? Und vielleicht ringen wir uns dann zu folgender Feststellung durch: »Ersparen wir uns nicht die technischen Details. Reden wir unbedingt darüber«.

Bildquellen:

Banking: Freepik from www.flaticon.com is licensed by CC 3.0 BY

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Diskussion

3 Ergänzungen zu “Topographie der Daten: Eine Blackbox für den Nutzer”

  1. Comment Avatar Horst sagt:

    Danke für diesen aufschlussreichen Artikel. Wenn ich das negativ auslege bekomme ich direkt bedenken bei der Nutzung von O365/Teams und Delve, je nach Vorgesetzten. Ich höre es schon rattern… „Wer ist denn bloß der
    Nichtsnutz!“
    Positiv: es gibt auch sinnvolle Anwendungszwecke.

  2. Comment Avatar Heinz Schmidt sagt:

    Ich bedanke mich auch für diesen Artikel! Insbesondere der Hinweis auf die „abgeleiteten Informationen“ und derren anschließenden Verwendung war sehr hilfreich. D.h. die User können mit solchen „Ableitungen“ stark manipuliert werden…
    Danke dass Sie Herr Kuketz und lacrosse diese Informationen hier so gut aufbereiten. Es macht mich dankbar das es Sie gibt! Datenschutz >>> Es ist ein dickes Brett was gebohrt werden will. Aber so langsam wird das Loch größer…

  3. Comment Avatar Anonymous sagt:

    Ich möchte mich für diesen interessanten Artikel bedanken.

    Als kleine Anregung: Einige Formulierungen könnten einfacher gehalten werden.

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